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Artikel / Berichte

Sideboard?
Magic Karten Beobachtungsliste 
Henning Kurella
08.03.2013
Was ist das Sideboard, warum wird es genutzt und wie holt man dadurch am meisten für sich heraus?
Ich erinnere mich an meine ersten Spiele in Magic zurück. Das war so 1994 und ich daddelte eigentlich nur gegen meinen Bruder und ein paar wenige Schulfreunde. Wir hatten verstanden, dass Decks aus minimal 60 Karten bestehen müssen und zockten einfach drauf los. Es war eine sehr schöne Zeit und ich würde gerne mit einem jungen Magic-Neuling tauschen, der so wie ich damals ausschließlich in seiner kleinen Welt spielt: Dadurch dass man nur wenige Gegner hat und deren Vorlieben und Kartenpool kennt, kann man sich schon sehr genau darauf einstellen, was einem in den Spielen bevorsteht. So hatte ich meinen Buddy (Martin) gut im Griff und gewann mehr, als ich verlor. Man kaufte gemeinsam neue Booster, tauschte eifrig untereinander die Karten und die Decks wurden immer besser. Doch dann eines Tages trifft man auf den Schulfreund des großen Bruders (nennen wir ihn Tobi), der ein Deck spielt, welches ziemlich ausgeklügelt ein paar Synergien nutzt und das eigene total demontiert. So ist es mir zumindest ergangen. Aber das Schlimmste war, dass mein Schulfreund Martin wiederum gut mit diesem Deck umgehen konnte und sich erfolgreiche Partien lieferte. Ich fühlte mich irgendwie ausgeschlossen. Was war passiert?


Keiner von uns hatte einen uneingeschränkten Kartenpool. Martins Deck war einfach schwach gegen meine Karten, aber trotzdem kein schwaches Deck. Mein Deck hingegen war chancenlos gegen Tobis Karten, während Martin gut mit Tobi klarkam. Erinnert ihr euch an den Artikel über das perfekte Standarddeck? In Magic wird es immer ein „Schere, Stein, Papier“-Prinzip geben, welches die Stärke der einzelnen Karten geschickt relativiert.

Nun, wir waren damals Leser des „Kartefakt“, welches das einzig wahre Printmedium für deutsche Magic-Spieler war. Es gab Berichte von Turnieren und Decklisten zum Nachbauen. Toll! So lernten wir zum ersten Mal das Sideboard kennen, obwohl es in den kleinen Regelbüchern, die es 1994 in jedem Starterpaket gab, nicht erwähnt wurde. Wir lernten, dass es auf Turnieren ein Sideboard gibt, welches einem erlaubt, einzelne Karten im Deck auszutauschen, um sich auf den Gegner einzustellen. Dazu sind ein paar Grundregeln zu beachten:

Das Sideboard eines Constructeddecks (also zum Beispiel Standard) muss aus genau null oder 15 Karten bestehen. Sideboards mit einer Karte, 14 oder 16 Karten sind verboten. Bei Limitedturnieren (Sealed, Draft) registriert man am Ende der Deckbauphase manchmal eine Deckliste. Alle ungenutzten Karten im persönlichen Kartenpool stellen danach das Sideboard. Daher sind Sideboards im Limited oft ziemlich groß, aber es werden in Turnierberichten meist nur die relevanten Karten in den Sideboards angegeben.
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Das erste Spiel einer Partie wird ohne Einsatz des Sideboards gespielt. Man startet mit seinem noch unveränderten Deck. Nach dem ersten und jedem weiteren Spiel darf man zum Sideboard greifen. Wichtig ist nur, dass man das erste Spiel einer Serie mit dem ursprünglichen Deck beginnt.
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Nach dem ersten Spiel dürfen beliebig viele Karten im Deck durch Karten des Sideboards ausgetauscht werden. Nach dem Tausch müssen aber gleich viele Karten im Sideboard und im Deck sein wie vorher! Ausnahme ist Limited (Sealed, Draft) – hier dürfen auch einfach Karten hinzugefügt werden.
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Beachtet: Bei vielen Limitedveranstaltungen ist es gestattet, vor jedem Spiel das Sideboard zu nutzen, also quasi das Deck auch zwischen den Runden zu verändern. Passt der Lord of the Void doch nicht so gut in das dreifarbige Deck? Beim FNM für gewöhnlich kein Problem! Dies ist eher eine Hausregel, aber auf vielen FNM-Turnieren gängig. Einfach vorher nachfragen!

Zurück zu Martin und Tobi: Wir bauten uns nun also Sideboards und konnten unsere Decks an den jeweiligen Gegner anpassen. Martin gewann mit dem Sideboard deutlich mehr Partien gegen mich, während ich eine bessere Chance hatte, gegen Tobi zu gewinnen. Niedlich!

Und damit zurück in die Gegenwart: Die Magic-Szene hat sich stark entwickelt und mittlerweile gibt es jeden Monat neue Decktypen, die die alten schlagen. Warum? Die neuen Decks hebeln die Älteren oft an ihren Schwachstellen aus. Gute Spieler sehen diese Trends voraus und bereiten ihre Sideboards darauf vor. Tatsächlich ist das Sideboard meiner Meinung nach mindestens genauso wichtig wie, wenn nicht sogar wichtiger als die 60 Karten, mit denen man startet!


Im Limited ist das Sideboarden relativ simpel. Merkt man, dass der Gegner ein sehr aggressives Deck spielt, ist es vielleicht sinnvoll, zusätzliche günstige Kreaturenzerstörung ins Deck zu mischen oder sogar Verteidiger zu spielen. Meine liebsten Sideboardkarten im Spiel mit Rückkehr nach Ravnica waren Aerial Predation und Electrickery. Leider sind die Karten gegen viele Decks recht nutzlos, findet man jedoch breite Anwendung, sind diese Karten echte Gewinner.

Beckon Apparition aus Gildensturm ist keine wirklich gute Karte, aber wenn der Gegner seinen Friedhof zum Beispiel für einen Deathpact Angel nutzt, ist die unscheinbare Karte auf einmal der Trumpf schlechthin. Purge the Profane ist gut gegen langsamere Decks. Hat der Gegner nur noch zwei Handkarten, sind dies meist zukünftige Probleme. Mit Purge the Profane wird man sie sehr elegant los.


Im Constructed sind Sideboards dagegen ein überaus dynamischer Prozess, den man nicht in fünf Minuten erledigen kann. In vielen Sideboards findet man ungewöhnliche Karten wie Rest in Peace, Slaughter Games oder Pithing Needle. Die Vorteile sind schnell klar: In der ersten Partie kennt man das Deck des Gegners noch nicht, Slaughter Games und Pithing Needle sind also unangebracht. Rest in Peace wiederum ist nur gegen Gegner gut, die stark mit dem Friedhof arbeiten (Reanimator). Manches Mal braucht man aber auch einen vierten Searing Spear gegen aggressive Decks oder den Thundermaw Hellkite gegen langsame. Der Trick am Sideboard ist, das eigene Deck und die Position gegen die anderen Decks vor dem Start der Veranstaltung abzuschätzen.

Geht man nun zu einem Friday Night Magic M13&massmarket=no target='_blank'>in seiner Nähe und spielt sein Deck mehrere Wochen, wird man schnell ein Gefühl dafür bekommen, was man daran und am Sideboard verändern sollte. Ich kann euch versprechen, dass es irre Spaß macht, an seinem Sideboard herumzuwerkeln, um sich freitags mit den Problemgegnern von letzter Woche zu messen. Gerade wenn man meint, dass das eigene Deck unterlegen ist, fällt einem etwas Neues für das Sideboard ein!


Wichtig ist allerdings, im Kopf zu behalten, was das Deck überhaupt will! Wie gewinnt mein Deck? Mit welchen Gegnern kommt es gut klar? Wo hat es Probleme? Manches Mal verbaut man sich sein Deck auch einfach dadurch, dass man auf Teufel komm raus ein Deck schlagen möchte, welches stark gegen die eigene Deckidee ist. Kontrolldecks sind oft stark gegen Mittelstreckendecks. Aggrodecks sind stark gegen Kontrolle. Mittelstrecke ist stark gegen Aggro. Das ist natürlich auch nicht in Stein gemeißelt, aber manchmal muss man schlicht hinnehmen, dass man mit einem Aggrodeck das erste Spiel gegen das Mittelstreckendeck verliert. Dafür kann man vielleicht zehn Plätze im Sideboard parat halten und das eigene Deck so anpassen, dass man noch als Sieger aus der Serie hervorgeht. Entscheidend ist, dass man das eigentliche Ziel des Decks nicht aus den Augen verliert und weiterhin die Decks frühstückt, die man auch zuvor gut schlagen konnte. Außerdem sollte ein Aggrodeck natürlich einen Plan haben, wie andere Aggrodecks zu besiegen sind.

Das war's, was ich euch zu Sideboards mit auf den Weg geben wollte. Es ist leider unmöglich, absolute Aussagen über Sideboards im Constructed zu treffen, weil sich Magic jede Woche erheblich entwickelt. Das macht es aber auch so spannend! Ich wünsche euch viel Spaß beim Tüfteln und lasst den Kopf nicht hängen, wenn ihr mal in eine Sackgasse lauft. Nächsten Freitag geht es wieder von vorne los und dann können eure 75 Karten wieder anders aussehen!

Ein schönes FNM wünscht euch

Henning