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Artikel / Berichte

Draften für Einsteiger
Magic Karten Beobachtungsliste 
Torben Thies
01.10.2012
Ein paar handliche Tipps für den Einstieg in meine liebste Form, Magic zu spielen …
Ihr wisst, ich baue gerne Decks und bin immer offen für neue Spielvarianten. Wisst ihr aber auch, was ich mit Abstand am häufigsten tue? So gut wie jeden Freitag könnt ihr mich im Laden meines Vertrauens antreffen, wo ich mit anderen Leuten um einen Tisch herumsitze, synchron Kartenpäckchen aufreiße und an meinen Nachbarn weiterreiche. Wenn ihr mich dabei erwischt, seid ihr nicht etwa Zeuge eines Sektenrituals geworden, sondern beobachtet mich beim Boosterdraft. Ja, ich gebe es offen zu: Ich bin ein notorischer Wiederholungsdrafter. Wollt ihr zu Komplizen werden?

Wenn ihr noch gar nicht wisst, was es mit Draft so auf sich hat, empfehle ich euch diesen kurzen Artikel. Überfliegt einfach schnell die Abschnitte über Limited und Boosterdraft. Allen Klickfaulen kann ich aber auch noch eine Schnellzusammenfassung bieten: Ihr sitzt mit mehreren Spielern (idealerweise acht) um einen Tisch herum und habt drei Booster vor euch liegen. Ihr öffnet den ersten Booster, schaut ihn durch, nehmt euch eine Karte daraus und gebt den Rest nach links weiter. Weil das alle gleichzeitig machen, bekommt ihr von rechts ein Päckchen mit einer Karte weniger, aus der ihr wieder eine Karte für euch nehmt. Das Ganze wird wiederholt, bis der Booster leer ist. Dann öffnet jeder seine zweite Boosterpackung, die diesmal nach rechts weitergegeben wird, und zu guter Letzt die dritte Packung, die wieder im Uhrzeigersinn um den Tisch wandert.

Booster 1 und Booster 3:

Booster 2:


Am Ende steht (oder sitzt – bequem draftet es sich besser!) ihr dann mit einem Stapel aus 42 Karten da (gegebenenfalls plus Standardländer), aus denen ihr euch ein 40-Karten-Deck bauen sollt. Beliebig viele Standardländer dafür könnt ihr euch von eurem Laden leihen. Durchschnittliche Draftdecks enthalten etwa 17 Länder, was bedeutet, dass ihr die 23 besten Kreaturen und anderen Zaubersprüche eurer erdrafteten Beute aschenputtelmäßig aussortiert und mit den Ländern fusioniert. So einfach entsteht ein Deck! Mit genauen Verteilungen von Einzelkarten will ich euch jetzt nicht nerven, achtet aber darauf, genügend Kreaturen zu spielen. 14–17 sollten es meistens schon sein.

Damit ihr am Ende keine Fünffarbmonstrosität spielen müsst, die jeder Beschreibung spottet, empfiehlt es sich, während des Drafts einen groben Plan zu entwickeln, bei was für einem Deck ihr am Ende landen wollt. Die Festlegung auf zwei Farben ist genauso empfehlenswert, wie zu wissen, welche Karte im Booster denn jetzt eigentlich die stärkste und somit die richtige Wahl zum Herauspicken ist. Kartenbewertung ist ein schwieriges und anspruchsvolles Metier, verzweifelt also nicht, wenn ihr eine Weile braucht, euch durch den Dschungel der Optionen zu kämpfen. Um euch zu unterstützen, gebe ich euch in diesem Artikel eine Machete in die Hand, mit der ihr zumindest das gröbste Unkraut weghacken und den Weg zum Schatz finden könnt.


Brot???

Die bekannteste Richtlinie, um die magische Spreu vom Weizen zu trennen, kommt aus englischsprachigen Gefilden und nennt sich B-R-E-A-D. Nachdem sichergestellt war, dass das nicht die Abkürzung für ein geheimes Waffenprogramm ist, verbreitete sich B-R-E-A-D wie ein Lauffeuer und findet auch heute noch Anwendung. Fast jede Karte in einem Booster lässt sich einer der Kategorien zuordnen, die sich hinter den Buchstaben verstecken. Ich zeige sie euch in absteigender Reihenfolge, also von gut nach schlecht.


B=Bomben

Was haben die Karten oben gemeinsam? Richtig, sie sind unglaublich stark. Wenn ihr eine dieser Karten wirkt und sich euer Gegner nicht schnellstmöglich darum kümmert, wird es wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis das Spiel vorbei ist. Und genau das ist die Definition einer Bombe. Wenn ihr so eine Karte auf den Tisch legt, dreht sich das Spiel entweder oder der Sargnagel wird angesetzt. Viele Bomben können dabei nur von einer extrem kleinen Minderheit an Sprüchen effektiv beantwortet werden und erzeugen oft auch Kartenvorteil (ihr tauscht eine Karte gegen mehrere eures Gegners ab).

Jetzt kommt die ganz große Überraschung: Wenn ihr beim Draft eine Bombe im Booster seht, wollt ihr sie nehmen und möglichst am Ende auch spielen. Manchmal schließt das auch mit ein, eine der Farben, auf die ihr euch bisher eingeschossen habt, fallenzulassen und euch von nun an auf die Farbe der Bombe zu konzentrieren. Das geht aber nur, wenn ihr noch nicht zu tief im Draft steckt. Wenn ihr bislang nur weiße und blaue Karten genommen habt und im dritten Booster Nefarox, Overlord of Grixis seht, wird es vermutlich schwer, noch genug Karten für ein blau-schwarzes oder weiß-schwarzes Deck zusammenzukratzen. In diesem Fall müsst ihr eventuell in den sauren Apfel beißen und den Dämon weiterreichen. Aber vielleicht befindet sich ja der nächste Buchstabe von B-R-E-A-D im Booster …


R=Removal

Removal (übersetzt etwa „Beseitigung“, „Entsorgung“ oder „Entfernen“) bezeichnet als Oberbegriff alles, was Kreaturen wegmacht. So schlägt Removal hin und wieder selbst Bomben. Trotz seiner Funktion als Trumpf steht Removal allerdings leicht unter Bomben. Eine starke Kreatur zu entfernen, ist eben gut, selbst das Spiel zu dominieren, ist besser. Nichtsdestotrotz bildet Removal die Basis für starke Draftdecks, die planen, sich auch gegen Widerstand durchzusetzen. Die Palette reicht dabei von simplen Totmachern (Murder, Searing Spear, Prey Upon) über Antworten, die selbst wieder entfernt werden können (Pacifism, Encrust) bis hin zu temporären Lösungen (Unsummon), die bloß vorübergehend, aber günstig ein Zeitfenster für effektive Angriffe bieten.

Sprüche, die Kreaturen ohne Wenn und Aber dauerhaft entfernen, sind heiß begehrt beim Draften. Deshalb müsst ihr manchmal auf Karten zurückgreifen, die diesen Job nicht direkt, sondern über Umwege erledigen. Eine Art von Behelfsremoval sind beispielsweise sogenannte „Pumpsprüche“, also alle Zauber, die eure Kreaturen spontan vergrößern. Ein gut getimter Titanic Growth etwa kann dieselben Resultate hervorbringen wie Murder. Auch Kreaturen mit Aufblitzen wie Faerie Invaders können sich für Überraschungsblocks als praktisch erweisen. Die Schwierigkeit liegt natürlich darin, die gegnerische Problemkreatur erst einmal in einen Kampf zu verwickeln. Kampfungebundene Wege sind da deutlich anspruchsloser in der Anwendung und deshalb auch so viel besser und beliebter.

Dabei ist nicht alles Gold, was glänzt. Echtes Removal ohne Haken (Murder) oder mit nur minimalem Haken (Pacifism) steht zwar zu Recht an zweiter Stelle in dieser Auflistung; vorübergehende oder situationsbedingte Antworten (etwa Unsummon respektive Titanic Growth) sollte man in Wahrheit jedoch niedriger bewerten als gute Kreaturen. Apropos Kreaturen – darum geht es in den nächsten beiden Punkten …


E=Evasion

In einer Draftpartie ist es nicht ungewöhnlich, dass der Tisch nach ein paar Runden ziemlich vollgestellt ist und so eine Pattsituation entsteht. Für normale Kreaturen ist in so einer Situation kein Durchkommen mehr. Manche Auserwählte können jedoch die Barrikaden umgehen, weil sie beispielsweise darüber hinwegfliegen oder Furcht und Schrecken verbreiten. Solche Fähigkeiten, die die gegnerischen Blockmöglichkeiten einschränken sind extrem wichtig, um Spiele gewinnen zu können.

Auf dem Bild oben habt ihr sicherlich schon den armen Außenseiter ohne Fähigkeit erspäht: Centaur Courser. Grün hat den Nachteil, dass die meisten seiner Kreaturen keine Schlüsselwörter besitzen, um sich an der Opposition vorbeizuschlängeln. Im Gegenzug hat es aber einen Trumpf, der sich „Fatty-Evasion“ nennt. Grüne Kreaturen bieten häufig mehr Stärke und Widerstandskraft für ihre Manakosten als die Alternativen in den anderen Farben, man könnte sagen, sind schlicht fetter. Dadurch entstehen oft Situationen, in denen der Gegner euren Centaur Courser, Duskdale Wurm oder auch eure Sentinel Spider blocken könnte, es aber nicht tut, weil kein Tausch ohne große Verluste möglich ist. Ihr umgeht die Barrikaden also nicht, ihr durchbrecht sie!


A=Angreifer

Wie schon eingangs erwähnt will ein gutes Draftdeck in der Regel etwa 14 bis 17 Kreaturen haben. (Wenn ihr 13 oder 18 habt, geht die Welt natürlich auch nicht unter, und Karten, die von sich aus Kreaturenspielsteine aufs Feld bringen, könnt ihr hier durchaus mitzählen!) Wie das nun mal so ist, kann nicht jeder im Team ein Superstar sein. Wofür ihr aber sorgen könnt, ist ein gut harmonierendes Team. Mit dieser Kategorie füllt ihr eure sogenannte „Manakurve“ auf. Damit ist die Verteilung von verschiedenen Manakosten unter euren Karten gemeint. Ideal sind einige günstige Kreaturen, ein leichter Schwerpunkt bei drei Mana und nicht ganz so viele Tiere, die vier Mana und mehr kosten. Mit einer guten Manakurve stellt ihr sicher, dass ihr zu jedem Zeitpunkt des Spiels etwas wirken könnt, das Einfluss auf das Geschehen nimmt. Ein Deck voller Silvercoat Lions scheitert irgendwann an Fire Elemental, ein Deck voller Fire Elementals ist zu schwerfällig für jede Menge Silvercoat Lions. Die Mischung macht's!

Der Oberbegriff „Angreifer“ (oder englisch: „attackers“) gefällt mir hier übrigens überhaupt nicht und sollte mit Vorsicht genossen werden. Was ihr in dieser Kategorie sucht, sind nicht immer Angreifer, sondern Kreaturen, die sinnvoll am Spielgeschehen teilnehmen. Ob das nun die oben gezeigten Exemplare oder defensivere Karten wie Guardians of Akrasa, Giant Scorpion oder Fog Bank sind, ist dabei nebensächlich.

D=Duds

Zu guter Letzt kommen wir in die Ramsch-Ecke. Diese Karten will meist keiner haben - und das aus gutem Grund. „Duds“ sind entweder viel zu teuer für den Effekt, den sie auf das Spiel haben, oder haben einen so kleinen Anwendungsbereich, dass sie in den meisten Situationen auf der Hand vergammeln. Ihr müsst euch keine Mühe geben, an solche Karten heranzukommen.

Aber (und jetzt kommen wir zu einer Sache, warum ich Draften so toll finde) unter den richtigen Bedingungen können Duds zu den wichtigsten Karten in eurem Deck werden. Euer Gegner hat euch im ersten Spiel lauter Pacifisms und Oblivion Rings um die Ohren geschmissen? Erase kann euch in Spiel 2 die Oberhand verschaffen! Eure Decks liefern sich ein enges Wettrennen um die letzten Schadenspunkte? Vielleicht ist jetzt dieser Downpour ganz nützlich.

Manchmal entstehen sogar Decktypen, die aktiv nach Duds suchen. Im Basisset Magic 2013 gibt es beispielsweise einen rot-weißen Decktyp, der mit Krenko's Command und Captain's Call versucht, einen möglichst großen Schwarm Kreaturen aufzubauen. Trumpet Blast ist ein integraler Bestandteil dieser Strategie, weil er auf viele Kreaturen angewandt das Spiel auf der Stelle gewinnt. Auch multiple Mind Sculpts machen in Massen massive Miseren.


Hört ihr die Signale?


Ein interessanter und herausfordernder Teil während des Drafts ist, herauszufinden, welche Farben man spielen sollte. Dafür solltet ihr auf „Signale“ achten. Wenn ihr Nicol Bolas, Planeswalker als allererste Karte nehmt, dann aber vom rechten Nachbarn Odric, Master Tactician, Oblivion Ring weitergereicht bekommt, solltet ihr ernsthaft darüber nachdenken, euch vom großen Oberbösewicht zu verabschieden. Ihr habt nämlich gerade ein starkes Signal in Richtung Weiß bekommen, denn sehr wahrscheinlich hat euer Vordermann wohl keine weiße Karte genommen und wird tendenziell auch weiterhin darauf verzichten. Starke Karten in Boostern zeigen euch, welche Farben wenig beliebt sind und dazu einladen, von euch besetzt zu werden. Folgt ihr diesen Signalen, könnt ihr oft mit Geschenken rechnen, die eure Nachbarn nicht wollen.

An einem Drafttisch erhält nicht nur jeder Signale, sondern sendet sie auch. Und zwar nicht nur, indem man besonders verlockende Karten weitergibt – umgekehrt geht es genauso: Ihr könnt beispielsweise sicherstellen, dass ihr im zweiten Boosterdurchgang, der gegen den Uhrzeigersinn läuft, eure präferierte Farbe bekommt, indem ihr sie im ersten Durchgang „abschneidet“, also eurem linken Nachbarn keine oder keine relevanten Karten dieser Farbe übrig lasst. Wenn die einzigen roten Karten, die ihr nach links durchlasst, Smelt und Worldfire sind, hat die Person, die links neben euch sitzt, keinen Anlass, auch Rot zu draften.

Gehen wir noch mal an den Anfang des Drafts und zu Nicol Bolas zurück. Ihr habt nämlich noch eine andere Option, nämlich zu „forcen“: Wollt ihr unbedingt auf die dunkle Seite, könnt ihr alle Signale ignorieren und euer Glück sozusagen erzwingen. Unabhängig davon, was die beste Karte im Booster ist, nehmt ihr immer die Farbe, die euer erster Pick hatte oder (noch extremer) die, für die ihr euch schon vor dem Draft entschieden habt. Forcen ist eher eine Ausnahmestrategie und wird eigentlich nur bei Sets angewandt, in denen eine Farbe oder Strategie klar stärker ist als andere. Die meisten Sets sind wie Magic 2013 weitestgehend ausgeglichen und da führt dieser Ansatz meist ins Verderben.


Die Spitze des Eisbergs


Draften macht ungeheuer viel Spaß, weil es immer anders ist und man sich ständig neuen Gegebenheiten anpassen muss. Das, was ich euch in diesem Artikel gezeigt habe, ist nur ein grober Abriss darüber, wie man Karten bewertet. Es gibt so viele kleine Details, die die Sache selbst für jemanden wie mich, der seit 2002 draftet, immer noch frisch und interessant halten. Allein darüber, wie eine Karte wie Divination zu bewerten ist, könnte man Essays schreiben. (Tipp: Divination ist eine jener wenigen Karten, die nicht in das B-R-E-A-D-System passen, keinesfalls ein Dud.) Oder eine historische Abhandlung über die Stärke von 2/2-Kreaturen für zwei Mana in verschiedenen Sets. Ja, je nachdem wie eine Edition gestaltet ist, ändern sich auch Bewertungen für gleiche Karten. Lasst mich euch sagen, das Fass ist unglaublich tief. Das wirklich Tolle ist aber, dass ihr euch gar nicht mit solchen Details beschäftigen müsst, um ein tolles Erlebnis beim Draften zu haben. Taucht so tief ein, wie ihr möchtet: Das Meer, das sich Draft nennt, schillert immer in wunderschönen Farben.