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Artikel / Berichte

Standard: Was sind eigentlich Aggrodecks?
Magic Karten Beobachtungsliste 
Henning Kurella
11.01.2013
Hallo liebe Magic-Freunde,

ich bin spät dran. Ich wollte den Artikel längst fertig haben, denn eigentlich ist bereits Redaktionsschluss für den Freitag, an dem in Zukunft meine Texte hier erscheinen werden. „Wenig Zeit“ passt zumindest gut in das heutige Thema, denn ich möchte mich dieses Mal mit Aggrodecks beschäftigen. Ebensolche, die keine Zeit haben, um sich von den langsameren Decks auffressen zu lassen. Aber mal ganz von vorn. Warum möchte ich eigentlich ein Aggrodeck spielen? Welche Motivation habe ich?


Zunächst einmal würde ich behaupten, dass jedes Mal, wenn neue Karten in das Standardformat gespült werden, Aggrodecks über Kontrolldecks domineren. Anfangs ist es noch nicht gut abzusehen, auf welche Gegner man treffen wird. Also spielt man gerne Decks, die nicht reagieren wollen – sondern agieren. Aber auch in späteren Phasen, wenn Aggrodecks von der Bildfläche verschwinden, schafft es immer mal wieder ein wirklich guter Spieler eine Deckidee umzusetzen, die große Turniere gewinnen kann. Doch das ist vielleicht nicht der beste Grund, aus dem man ein Deckthema aussuchen möchte. Nicht jeder von uns will große Turniere gewinnen. Es geht uns ja hauptsächlich um den Spaß am Spiel und ich kann euch versichern, dass Aggrodecks sehr viel Spaß machen, sobald man sich ein wenig mit ihnen beschäftigt! Wenn man im dritten Zug für zehn Schadenspunkte rüberkommt, während der Gegner nicht mehr als drei Länder und ein Farseek gespielt hat, wird man viele erstaunte, aber auch böse Blicke ernten.

Auch wenn mancher einem eventuell nachsagt, dass man bloß stumpf Kreaturen legt und diese nach rechts dreht, ist es oft gar nicht so einfach, ein Aggrodeck möglichst perfekt durch ein Turnier zu steuern. Das liegt daran, dass einem Informationen über den Gegner fehlen und man trotzdem derjenige sein muss, der Aktionen bringt. Das endet darin, dass man viele Entscheidungen auf Grundlage von Vermutungen trifft, die man wiederum nur abschätzen kann. Aggrodecks sind manchmal sehr gemein zu ihrem Spieler, wenn man zum Beispiel einfach nur noch Mist nachzieht. Und wenn man einmal schwere Entscheidungen hatte und trotzdem alles richtig gemacht hat, merkt es keiner …


Schließlich sind Aggrodecks oft weitaus günstiger aufzutreiben als andere Decks. Ein schnelles Deck lebt von viele kleinen, aufeinander abgestimmten Kreaturen, die oft Uncommons oder sogar Commons sind. Wer vier-, fünfmal Draften geht, hat oft schon genug Karten für ein schönes, schnelles Deck.

Aktuell gibt es auf den hiesigen Magic-Turnieren meines Erachtens nach allerdings nur selten richtige Aggrodecks! Ab und an ist aber doch mal wieder eines richtig gut ausgetüftelt und prescht durch die Gegner. Und das wollen wir uns jetzt einmal anschauen, denn hier wird vielleicht auch der erfahrene Spieler zweimal hinschauen.

Als Fan vom alten Set Ravnica: City of Guilds würde ich hier nun gerne ein Boros-Weenie-Deck (viele kleine Kreaturen in Rot und Weiß) auspacken, aber leider wird Boros erst im Februar mit Gatecrash erscheinen. Die nächste Alternative mögen vielleicht schwarz-rote Zombies sein, aber wer sich mit Weenie-Decks auskennt, wird merken, dass die Zombies bereits viel zu wenig in den ersten Runden legen. Auch andere gängige schwarz-rote Decks sind nicht so richtig überschall schnell. Es erscheint im Vergleich zu anderen derzeit populären Decks zwar so, als wären die Zombies ein klassisches Aggrodeck, aber in einer anderen Umgebung würde ich es schon fast in einen Topf mit Mittelstreckendecks stecken. Was bleibt also übrig?

Einfarbig rote Decks oder solche mit einem Klecks Schwarz, auch einfacher als „Red Deck Wins“ bekannt, sind unheimlich viel schneller, als alle anderen Strategien, die im Moment gespielt werden. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle nur das Deck anführen, mit dem Ian Kendall Mitte letzten Monats ein großes Turnier in Los Angeles gewonnen hatte, doch wie es der Zufall so will, setzte Kevin Brumley dieses Wochenende bei einem ähnlich großen Turnier in Columbus nach. Also schauen wir uns einfach beide an und verfolgen den Trend, den die Listen gehen. Vielleicht finden wir ja einen Fingerabdruck der Entwicklungen der langsameren Decks aus den vergangenen Wochen?

Ian Kendall, Sieger, SCG-Standard-Open am 17. Dezember

4 Blood Crypt
4 Cavern of Souls
4 Dragonskull Summit
10 Mountain
2 Swamp

4 Ash Zealot
4 Falkenrath Aristocrat
3 Hellhole Flailer
3 Hellrider
4 Knight of Infamy
4 Rakdos Cackler
4 Stromkirk Noble
2 Thundermaw Hellkite


4 Pillar of Flame
4 Searing Spear

Sideboard:

2 Appetite for Brains
2 Cremate
2 Flames of the Firebrand
1 Slaughter Games
2 Ultimate Price
4 Vampire Nighthawk
2 Zealous Conscripts


Ian Kendall spielte in Los Angeles gegen ein Feld aus vielen Zombiedecks. Nach einem äußerst erfolgreichen November für BR-Zombies konnte man davon ausgehen, dass beinahe jedes zweite Match gegen diese schnelle Art eines Mittelstreckendecks zu spielen war. Aus diesem Grund findet man in seinem Deck gleich viermal Pillar of Flame gegen Geralf's Messenger (Undying!) oder Gravecrawler. Searing Spear entledigt sich nervigen Augur of Bolas', Silverblade Paladins oder Ähnlicher auch im Zug des Gegners, um das Feld für einen Angriff freizuräumen, oder schießt den Gegner gleich selbst tot.

Abgesehen von den acht Zaubern spielt das Deck 28 Kreaturen und 24 Länder! Acht Kreaturen kommen für nur ein Mana aufs Feld. Weitere acht für zwei. Nur zwei Kreaturen kommen für fünf Mana: Thundermaw Hellkite, wovon man pro Spiel nur einen ziehen möchte und auch nur, wenn man seinem Gegner schnell einmal in der Luft austappen muss. Wenn nur noch ein klein wenig fehlt, um den Gegner auf null Lebenspunkte zu bringen, gibt auch der Hellhole Flailer gerne noch mal alles – und dem Gegner den Rest. Der einzige schwarze Spruch im Hauptdeck ist Knight of Infamy, der gegen Azorius Charm immun ist, außerdem an weißen sowieso und dank Exalted auch an Augur of Bolas oder anderen robusten Kreaturen vorbeikommt.


(Schutz vor Weiß rettet allerdings nicht vor ungerichteten Sprüchen wie Terminus oder Supreme Verdict. Schutz vor Weiß verhindert lediglich, dass die Kreatur von einer weißen Kreatur geblockt wird. Kein weißer Zauberspruch darf die Kreatur als Ziel nennen, ihr dürfen keine weißen Auren angelegt sein und jeglicher Schaden durch weiße Quellen wird auf null reduziert.)

Das Sideboard erscheint dagegen auf dem ersten Blick ziemlich schwach. Es gibt keine Karten, die bekannte Decks wirklich zerstören, wie Rest in Peace und Jace, Memory Adept, die in den Sideboards von Kontrolldecks gespielt werden. Man darf sich aber nicht täuschen lassen, denn kleine Änderungen machen hier den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage eines schnellen Decks aus. Appetite for Brains etwa entsorgt Supreme Verdict. Slaughter Games verhindern Sphinx's Revelation. Ultimate Price trifft auch mal einen Restoration Angel, der mit Widerstandskraft 4 ansonsten ein beinahe unnahbares Ziel für uns darstellen kann. Zealous Conscripts helfen gegen rot-grün-weiße Mittelstreckenspieler, welche ausschließlich dicke Kreaturen legen. Vampire Nighthawk schließlich stellt andere aggressive Decks vor Probleme.

Kevin Brumley, Sieger, SCG-Standard-Open am 6. Januar

21 Mountain
1 Hellion Crucible

4 Ash Zealot
4 Hellrider
4 Lightning Mauler
3 Pyreheart Wolf
4 Rakdos Cackler
2 Rakdos Shred-Freak
2 Stonewright
4 Stromkirk Noble
2 Zealous Conscripts


4 Brimstone Volley
3 Searing Spear
2 Pillar of Flame

Sideboard:

1 Grafdigger's Cage
4 Reckless Waif
(Merciless Predator)
2 Thunderbolt
1 Flames of the Firebrand
2 Mizzium Mortars
2 Pillar of Flame
3 Traitorous Blood


Jetzt zu der Deckliste von Kevin Brumley. Kevin verzichtet völlig auf größere Kreaturen wie Falkenrath Aristocrat oder Thundermaw Hellkite. Dadurch gönnt er sich nur noch 22 Länder! Er hat sogar zweimal Rakdos Shred-Freak und dreimal Pyreheart Wolf. Woran liegt das?

Die Turniere liegen nicht sehr weit auseinander. Dennoch verändert sich Magic Woche für Woche. Die Zombiedecks sind schwer aus der Mode gekommen. Blau-weiß-grüne Kontrolle, rot-grün-weiße Mittelstreckendecks oder Menschendecks, vierfarbige Kontrolle und viele weitere Decks tummelten sich an der Spitze dieses Turniers. Es reicht nicht mehr, den Gegner in Zug 7 mit Thundermaw Hellkite auszutappen. Fog ist eine Karte, die ernsthaft gespielt wird. Restoration Angel ist in jedem Kontrolldeck Pflicht. Alles, was das Deck von Ian stark machte, wird nur drei Wochen später bereits von beinahe jedem Deck und spätestens deren Sideboards aufgehalten. Kevin hat sogar zwei der Pillar in sein Sideboard gelegt, um sich mit Undying lieber nach dem Sideboarden zu beschäftigen. Wichtiger sind Brimstone Volley, um sich um jenen Restoration Angel oder sogar Hellkite kümmern zu können, wenn es denn mal dazu kommt. Ebenso sind Zealous Conscripts nun im Maindeck gelandet.


Knight of Infamy ist in Ians Deckliste nicht mehr zu finden, dafür ist hier eine Schlüsselkarte der Pyreheart Wolf. Durch den Wolf ist es dem Gegner nahezu unmöglich, mit größeren Kreaturen sinnvoll zu blocken. Tatsächlich ist der Wolf auch ein fantastisches Ziel für gegnerische Kreaturenzerstörung, während die eigenen Kämpfer weiter gut austeilen. Kevin spielt zehn Kreaturen für ein Mana, zehn Kreaturen für zwei und bloß noch sechs Kreaturen für vier. Danach endet die Manakurve. Die Entwicklung ist klar: Es geht darum, schneller zu sein als das Supreme Verdict. Hellrider ist die perfekte Karte, um den Gegner durch pure Masse in die Knie zu zwingen. Und wenn es dann doch so kommt, haben die nachgezogenen Karten genug Potenzial, die restlichen Schadenspunkte auszuteilen.

An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass Kevins Deck für sehr wenig Geld zu haben ist, weil es quasi nur aus leicht erhältlichen Kreaturen besteht. Wer gerne in die Standardszene einsteigen will, wäre hier mit einem Tauschwert von gerade einmal 50 Euro dabei.

Es kommt folglich auch bei Aggrodecks darauf an, sich den aktuellen Umständen anzupassen. Aggrodecks benötigen viel Feingefühl für gute Sideboards und noch schwerer ist es, das Maindeck anzupassen. Immer wenn man denkt, sich auf alle Decks eingestellt zu haben kommt ein Aggrodeck wie aus dem nichts und gewinnt ein Turnier. Versprochen.

Dies war mein zweiter Artikel für magicspielen.de und ich hoffe, dass noch viele weitere folgen werden. Ich würde euch gerne um Feedback bitten. Was wollt ihr lesen und was nicht? Zusätzlich zur Kommentarfunktion hier unten habe ich auch eine Facebook-Seite, über die man mich gerne liken oder kontaktieren kann!

Also bis nächsten Freitag und viel Spaß beim Erstürmen der Gegner!
Henning